Neue Kulturen kennen lernen, wilde Partys feiern und vom Strand aus arbeiten. Ungefähr so stellt sich die Allgemeinheit das Leben eines Digitalen Nomaden vor. Doch weit gefehlt, denn in Wahrheit sieht der Alltag ganz anders aus, wie ich nach meinen ersten beiden Monaten als Digitaler Nomade am eigenen Leib zu spüren bekam.
Was viele Digitale Nomaden haben, fehlt mir noch voll und ganz, nämlich eine gewisse Routine. Vielleicht liegt es daran, dass ich erst zwei Monate unterwegs bin. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich keine Routinen benötige. Ob ich mich morgens nach dem Aufstehen an bestimmten Apps bediene, um frisch und fröhlich in den Tag zu starten, und einen Ablauf habe, der Tag für Tag der gleiche ist, ist mir nicht wirklich wichtig.
Eigentlich bin ich doch Digitaler Nomade geworden, um die lästigste aller Routinen, nämlich die vom Arbeitgeber vorgegebene 9-to-5-Woche hinter mir zu lassen. Warum soll ich dann also wieder damit anfangen, mir einen festen Zeitplan zu setzen, der in der Vergangenheit doch so sehr meine Produktivität und auch Motivation eingeschränkt hat?
Ein Tag im Leben eines Digitalen Nomaden
Im Vorhinein musste ich feststellen, dass der Tagesablauf immer auch abhängig von der jeweiligen Destination ist. Es macht einen großen Unterschied, ob ich im Surfparadies bin und ich zeitlich an gute Wellen gebunden bin oder ob ich in der Großstadt verweile, wo es eher wenig exotische Ablenkungen gibt. Mein Durchschnittstag bezieht sich daher auf meine Zeit in Chiang Mai, dem Hotspot für Digitale Nomaden.
9:30 Uhr: Aufstehen und langsam in den Tag starten
Ich schlafe gerne und versuche auch, jeden Tag auf meine acht Stunden Schlaf zu kommen. Daher quäle ich mich morgens nicht aus dem Bett, sondern wache ganz ohne Zwang auf. Ein Notfall-Wecker sorgt jedoch dafür, dass ich spätestens um 9:30 Uhr aus dem Bett geklingelt werde, um nicht den ganzen Tag zu verschlafen.
Die erste viertel Stunde des Tages gehe ich ganz gemächlich an, trinke meinen Guten-Morgen-Kaba oder einen leckeren Tee und mache mich fertig. Frühstück brauche ich nicht. Das hatte ich auch während meines Angestellten-Jobs nur in den seltensten Fällen.
10 Uhr: Die weniger schönen Aufgaben zuerst
Sobald ich mir den Schlaf aus den Augen gerieben habe, schalte ich mein Notebook ein und kümmere mich frei nach der Eisenhower-Methode um dringende und wichtige Erledigungen oder Aufgaben, bei denen ich voll fokussiert sein muss. Darunter fallen zum Beispiel redaktionelle Tätigkeiten oder die Arbeiten für Kunden.
Das E-Mail-Postfach bleibt dabei ebenso geschlossen wie Twitter und Facebook, was auf Grund der sechsstündigen Zeitverschiebung kein Problem ist, da es aus Deutschland um 4 Uhr nachts sowieso nichts Wichtiges zu berichten gibt. Ich bin meiner Zeit also voraus. Ein großer Pluspunkt.
12:30 Uhr: Zeit für ein Mittagessen und sonstige Erledigungen
Nach dem ersten Arbeits-Slot stehen Hausarbeiten, Einkäufe und sonstige Erledigungen auf dem Programm, um etwas abzuschalten und erstmals die gemietete Wohnung oder das Apartment zu verlassen. Dabei darf ein ausgiebiges Mittagessen nicht zu kurz kommen, da es in der Regel gleichzeitig mein Frühstück ist.
14 Uhr: Tagestief mit weniger fordernden Aufgaben
Meinen Tagestiefpunkt habe ich meist nach dem Mittagessen, sodass ich, um trotzdem produktiv zu sein, den Arbeitsplatz wechsele und mich in ein Café setze. Von dort aus erledige ich Dinge, die einfach gemacht werden müssen und keine allzu hohe Konzentration erfordern.
14 Uhr ist auch die Uhrzeit, an der ich das erste Mal mein E-Mail-Postfach öffne und den Schriftverkehr erledige. Außerdem pflege ich in diesem Zeitraum meine sozialen Netzwerke und grase meine Feedly-Liste ab, um vor allem im Bereich des digitalen Marketings auf dem Laufenden zu sein.
15:30 Uhr: Pause muss sein
Kurze Pausen sind mir besonders wichtig, um etwas abzuschalten und mein Sitzfleisch zu bewegen. Entweder gehe ich dann ein paar Schritte, wechsele das Café oder setze mich einfach nur für einen Moment mit einem leckeren Smoothie in die Sonne und mache einfach gar nichts.
15:45 Uhr: Fokus auf die Taskliste
Für anderthalb weitere Stunden heißt es nun, den Fokus wieder auf die abzuarbeitende Taskliste zu legen. Hier stehen Aufgaben für den Kunden im Vordergrund, damit diese rechtzeitig erledigt werden und ich mich später voll und ganz meinen eigenen Projekten widmen kann.
17:30 Uhr: Sport muss sein
Um mich auszupowern und die schlechte Haltung, die man sich an den weniger ergonomischen Tischen in den Cafés aneignet, zu kompensieren, muss und will ich mein tägliches Sportprogramm abspulen. Das kann ganz unterschiedlich aussehen und entweder aus einer Runde Laufen, ein paar Übungen mit dem Theraband-Band oder, falls es einen Pool gibt, aus ein paar Bahnen schwimmen bestehen.
Mit dem Thema „Fit bleiben als Digitaler Nomade“ hat sich kürzlich auch Raphael Rychetsky beschäftigt. Ein deutscher Digitaler Nomade, den ich in Chiang Mai kennen gelernt habe und zu dessen Video ich auch einen kleinen Teil beitragen durfte.
19 Uhr: Ausgiebiges Abendessen und Leute treffen
Nach dem Sport tritt bei mir meistens der Hunger ein. Daher gehe ich anschließend Abendessen. Wenn Bekannte vor Ort sind, die ich während der vergangenen Tage kennen gelernt habe, verbinde ich es mit einem Treffen. Das Gute daran ist, dass ich durch den Austausch neuen Input bekomme oder das Gespräch in eine völlig andere Richtung verläuft und für Ablenkung vom Arbeitsalltag sorgt.
21 Uhr: Jetzt bloß nicht schlapp machen
Da ich morgens länger schlafe, muss ich die verlorene Zeit anderweitig reinholen. Da kommt es mir ganz gelegen, dass ich abends nochmal eine besonders produktive Phase habe und einige wichtige Punkte abgearbeitet bekomme. In Chiang Mai habe ich einen Großteil im CAMP, einem Coworking Space verbracht, das 24 Stunden am Tag geöffnet hat. Teilweise saß ich dort zusammen mit anderen Coworkern bis drei Uhr nachts, wo dann auch schon mal ein weiterer Mitternachtssnack eingenommen wurde.
Den Schlussstrich ziehe ich, sobald ich müde bin, die Konzentration nachlässt oder ich mein Soll für diesen Tag erfüllt habe. Bevor ich mich zu Hause wieder ins Bett lege, versuche ich noch ein bisschen zu lesen, um runterzukommen und den flimmernden Bildschirm aus den Augen zu kriegen. Mein Ziel ist es, eine Stunde vor dem Schlafen gehen das Notebook und das Smartphone auszuschalten. Leider klappt das in der Praxis noch viel zu selten.
6 Arbeitstage pro Woche und ein Tag frei
Pro Woche möchte ich mindestens 40 Stunden produktiv sein. Das hört sich nicht allzu viel an, allerdings stoppe ich die Zeit mit dem Tool toggle nur dann, wenn ich auch fokussiert an Projekten arbeite. Die Bruttozeit meiner wöchentlichen Arbeit ist demnach weitaus höher.
Doch, wenn man als Digitaler Nomade an exotischen Orten ist und nicht auch etwas von Land und Leuten mitbekommt, dann macht man etwas falsch. Daher nehme ich mir auf alle Fälle einen Tag pro Woche Auszeit und mache das Notebook gar nicht erst auf. Das hat zum einen den Vorteil, dass ich dadurch Land und Leute kennen lerne und mich einen Tag treiben lassen kann. Zum anderen schöpfe ich so neue Energie und Motivation, um die kommenden Tage produktiv zu sein.
Jetzt mögen sich die letzten Zeilen und mein Tagesablauf doch sehr nach Routinen anhören, jedoch bin ich noch immer viel zu sprunghaft und beginne nahezu jeden Tag anders. Ich muss aber auch gestehen, dass ich mir vielleicht doch die ein oder andere Routine aneignen sollte oder mir bereits unbewusst angeeignet habe, da ich mich aktuell auf Bali befinde und die Ablenkungen hier doch etwas tückischer sind als noch in Chiang Mai.
Ich halte dich gerne auf dem Laufenden, ob ich in den nächsten Wochen mehr Struktur und Rhythmus in meinen Arbeitsalltag bekomme und sich eventuell doch erste Routinen einschleichen. Doch ganz egal, wie mein Tagesrhythmus auch aussieht, am Ende ist entscheidend, dass meine Projekte laufen und meine Kunden zufrieden sind. Bisher funktioniert dies zum Glück einwandfrei.